Home (or) Office: Ambivalente Bürowelten zwischen dem Ich und dem Wir

Von Franz Gurtner, 12.11.2017

Die eine Wahrheit ist: Der Webhoster WordPress.com hat sein physisches ro aufgelassen. Die andere Wahrheit ist: IBM, Yahoo und viele andere Unternehmen holen Mitarbeiter wieder zurück ins Büro. Die Diskrepanz zwischen diesen beiden Welten spiegelt die vielen offenen Fragen zu heutiger Bürogestaltung und Unternehmenskultur wider. 

 

Es war eine sommerliche Meldung, die bei Arbeitspsychologen, Trendforschern und Ökonomen die Alarmglocken läuten ließ: Im Juli verkündete das US-amerikanische Tech-Unternehmen Automattic, das den weltweit bekannten Webhosting-Dienst WordPress.com betreibt, sein physisches Büro in San Francisco aufzulassen. Ausschlaggebend für die Schließung waren nicht etwa wirtschaftliche Gründe, sondern vielmehr soziale, logistische, zwischenmenschliche. Von den insgesamt 550 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die bei Automattic San Francisco tätig sind, hätten immer weniger den Weg in die Arbeit gefunden. An manchen Tagen, erinnert man sich, seien gerade mal fünf Menschen gleichzeitig vor Ort im Büro gesessen. „Wir stellen unseren Mitarbeitern frei, wo sie arbeiten wollen“, sagt Firmensprecher Mark Armstrong. „Möchte jemand lieber zuhause, bei Starbucks oder in einem kommerziellen Coworking Space arbeiten, so bekommt er die dafür anfallenden Kosten rückerstattet.“ Bis zu 250 US-Dollar beträgt die monatliche Refundierung.  

 

Aufsehen erregt hat die ungewöhnliche Entscheidung von Automattic auch deshalb, weil die Auflösung allen bislang kommunizierten Trends um 180 Grad zuwiderläuft. „Weltweit ist von Coworking, Desk Sharing, Employer Branding, Kommunikationskultur und Wohlbefinden am Arbeitsplatz die Rede, und dann gibt es plötzlich ein Unternehmen, das sich physisch komplett auflöst“, sagt der Salzburger Arbeitspsychologe Christian Blind. „Ich kann gut nachvollziehen, dass sich standardisierte und formalisierte Prozesse wie Webhosting gut outsourcen lassen“, meint Blind. „Doch der Schritt zur kompletten Auflösung ist ein riskanter.“ Die Folge davon: Die emotionale Komponente geht verloren, das Team bricht auseinander, die klassische Corporate Identity löst sich mehr und mehr auf. „Doch die größte Gefahr sehe ich in der schwindenden Resilienz des Unternehmens. Je mehr die Menschen selbstständig und dezentral arbeiten, desto weniger habe ich sie in Zeiten der Krise im Griff. Nachhaltigkeit sieht anders aus.“ 

 

Andernorts hat man genau diese Gefahr längst erkannt. IBM, Yahoo und viele andere Firmen locken ihre Mitarbeiter, nachdem sie sie vor einigen Jahren selbst ins Home Office und ins bürokratische Nomadentum entsandt haben, mit attraktiven Komfort und Kommunikationsangeboten wieder zurück ins Büro. „Wir sind ein Unternehmen, in dem viele Mitarbeiter im Außendienst oder im Mobile Office tätig sind“, sagt Rainer Christofori, Projektleiter im Bereich Real Estate Strategy and Operations bei IBM. Erst kürzlich wurden die Umbaumaßnahmen im vierten Stock des Headquarters am Donaukanal in Wien-Leopoldstadt abgeschlossen. „Wir haben das Bürogeschoß komplett neu strukturiert und neu eingerichtet. Durch den Umbau wollten wir unseren Mitarbeitern wieder eine physische Homebase bieten.“ Zum Angebot, das in enger Abstimmung mit den Nutzern ausgearbeitet wurde, zählen unterschiedliche Arbeitsplatzqualitäten, sogenannte Quiet Rooms, akustisch abgeschirmte Phone Booths sowie verschiedene Leisure Areas. Besonders stolz ist man auf das Work Café, wo wieder verstärkt informelle, spontan einberufene Besprechungen abgehalten werden. Eine genaue Evaluierung steht noch aus. Nur so viel: „Es kommen deutlich mehr Menschen ins Büro als früher“, so Christofori. Nun soll das Konzept auch auf den anderen Etagen Anwendung finden. 

 

Auch Bernhard Kern, CEO der Roomware Consulting GmbH, sieht eine deutliche Abkehr vom Home Office. „Der Wunsch nach Dezentralisierung nimmt ab. Die Unternehmen tendieren wieder dazu, das Team bei sich zu haben und die Kompetenz an einem Ort zu bündeln.“ Anders als früher beschränke sich das Phänomen des Home-Workens heute meist auf die mittlere Managementebene. 

 

Es gibt kein Patentrezept. Das zeigt sich allein schon an der aktuellen Ambivalenz und an den einander gegenlaufenden Trends zwischen dem Ich und dem Wir. In Zeiten labiler, sich ständig verändernder Arbeitskultur ist zu erwarten, dass die Diskrepanzen in den kommenden Jahren noch weiter zunehmen werden. Wie sagt doch Mark Zuckerberg, das Gesicht hinter Facebook? „Für eine Generation, die sowohl Flexibilität als auch Stabilität schätzt, ist ein Hybridmodell am besten geeignet. Bestimmen Sie, ob Sie lieber in Büro– oder Fernarbeit investieren wollen. Und erstellen Sie im Anschluss ein System, das für manche Personen auch das Gegenteil zulässt.“ 

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