Ein Thema – zwei Meinungen. Remote Arbeit oder Büropräsenz?

Von Helena Pumberger, 15.06.2021

Nie zuvor war die Diskussion um neue Arbeitsweisen bis hin zur völligen Abkehr vom klassischen Büro größer als in der momentanen Situation. Grund genug, zwei verschiedene Meinungen und Erfahrungen zu diesem Thema einzufangen. Michael Friedrich arbeitet seit einem Jahr all-remote beim Software-Unternehmen GitLab. Ihm gegenüber steht Prof. Dr. Carsten Baumgarth, Universitätsprofessor für Marketing an der School of Economics and Law in Berlin.

 

Michael Friedrich:

Als ich vor einem Jahr bei GitLab angefangen habe, da war Remote Work noch etwas für Exoten. Ich hatte mich schon vor der Pandemie für diese Arbeitsweise entschieden und es als persönliches Abenteuer angesehen: Ich will international arbeiten, um so die Welt neu zu entdecken. Als gebürtiger Linzer lebe seit einigen Jahren in der Region Nürnberg, liebe es naturnah zu wohnen und trotzdem mit der Welt vernetzt zu sein. Und genau das bietet mir meine Arbeit. Ich bin Developer Evangelist bei GitLab, einer Plattform für Softwareentwickler und helfe unserer Community, GitLab einzusetzen und zeige, wie es in andere Technologien integriert werden kann. Daraus erstelle ich Blogposts, Workshops und Vorträge für internationale Events. Mein Arbeitgeber hat keinen festen Firmensitz, beschäftigt weltweit rund 1300 Mitarbeiter in 66 Ländern und hat Remote Work zu seiner DNA gemacht. Auf diese geballte Erfahrung war ich sehr gespannt und wurde nicht enttäuscht.

Um wirklich produktiv zu sein, ist es für mich wichtig, Privates und Arbeiten auch räumlich klar zu trennen. In meinem Arbeitszimmer habe ich mir eine Wohlfühlatmosphäre geschaffen: Höhenverstellbarer Schreibtisch, ergonomischer Stuhl, gute Beleuchtung und eine hochwertige technische Ausstattung, zu der unter anderem eine Webcam und ein großer Monitor gehören. Der Vorteil im Home-Office ist ja, dass man sich nach Lust und Laune mit persönlichen Dingen umgeben kann. Bei mir ist es aktuell ein Star-Wars-Bausatz von Lego, der bei Videokonferenzen auch im Hintergrund zu sehen ist.

Was ich an meiner Tätigkeit sehr schätze, ist das asynchrone Arbeiten. Da meine internationalen Kollegen in unterschiedlichen Zeitzonen leben, nutzen wir Tools, mit denen gemeinsames Arbeiten trotz der Zeitdifferenz sehr effizient ist. Wir dokumentieren alles – jeden Gedanken, jedes Meeting, jeden Beschluss. Dadurch wird die Kommunikation insgesamt sachlicher. Niemand ist verpflichtet, an endlos langen Videokonferenzen teilzunehmen – alles wird schriftlich vorbereitet, das Meeting aufgezeichnet. Ich kann selbst entscheiden, ob ich daran teilnehmen möchte, mir das später oder gar nicht anschaue. Kurzum: Ich bin mein eigener Manager.

Über Privates tausche ich mich mit Kollegen über sogenannte Coffee Chats aus. Außerdem werden uns regelmäßig freie Friends & Family Days gewährt, denn man weiß um die Gefahren, wenn sich die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben auflösen. Neulich habe ich über #do-not-be-strangers, einem Bot, der Kollegen per Zufall verbindet, Carlos kennengelernt. Wenn die Pandemie vorbei ist, möchte ich ihn unbedingt in Mexico City besuchen. Natürlich fehlen mir die echten sozialen Kontakte, die echten Events mit Softwareentwicklern und Kollegen. Ich freue mich sehr auf mehr analoge Begegnungen, das Remote-Arbeiten an sich aber wird für mich erstmal das Richtige bleiben.

Michael Friedrich ist Developer Evangelist bei GitLab und arbeitet ausschließlich aus dem Home-Office.

 

Carsten Baumgarth:

Die (sozialen) Medien, LinkedIn-Posts und Clubhouse-Diskussionen überschlagen sich spätestens seit der Corona-Krise mit dem Loblied auf das Home-Office – Autonomes Arbeiten, weniger Stress, höhere Produktivität – nur ein paar Argumente, die immer wieder ins Feld geführt werden (aber kaum empirisch belegt sind).

Kann sein, muss aber nicht!

Nach rund acht Wochen im vollständigen Home-Office im März und April 2020 war ich persönlich im Mai froh, dass ich als Wissenschaftler auch meine Büroräumlichkeiten in der Hochschule wieder mit Auflagen nutzen durfte. Dort habe ich meine Ruhe, ein immer aufgebautes und funktionierendes kleines Studio für Zoom-Meetings mit gutem Licht, Ton und Kamera, meine Bibliothek, mein kleines Forschungslabor (B*lab mit Eye Tracking, Robotic etc.), meine Kunst an den Wänden. Ja, ich könnte meine Lehr-, Verwaltungs- und teilweise meine Forschungstätigkeit auch vollständig im Home-Office erledigen. Aber ich will es nicht. Der halbstündige Spaziergang zum Büro stellt sicher, dass ich mich jeden Tag auch bei geschlossenen Fitnessstudios und Lockdown wenigstens etwas bewege. Die vertraute, für mich perfekt ausgestattete und inspirierende Büro- und B*Lab-Umgebung fördert meine Produktivität, und die räumliche Trennung zwischen Zuhause und Büro erlaubt mir wenigstens etwas, Arbeit und Freizeit zu trennen, wobei ich als Wissenschaftler eigentlich immer (gedanklich) arbeite, dies aber selten als Arbeit oder Last empfinde.

Ja, ich habe auch schon vor dem Lockdown nicht nur im Büro gearbeitet, sondern im Café, im Park, bei Unternehmen, in Hotels, Zuhause, im Zug etc. Ja, ich bin in der sehr privilegierten Lage, dass ich fast immer selbst entscheiden kann, wann, wo und was ich arbeite. Daher suche ich mir immer die Orte und Kontexte, die sich für mich am besten anfühlen, und das ist sehr oft mein Büro in der Hochschule. Das wird auch nach der Pandemiephase so sein.

Das Einzige, das ich mir überhaupt nicht vorstellen kann und will, ist ein vollständiges „Home-Office“ für mein Team, meine KollegInnen und meine Studierenden. Wie einsam, wenig inspirierend, langweilig und frustrierend wäre ein „Arbeitsleben“ ohne echten und menschlichen Austausch.

Ich hoffe, dass wir die Pandemie bald überstanden haben, die Frage nach Büro vs. Home-Office nicht so dogmatisch diskutieren und wir viel flexibler und selbstbestimmter entscheiden können, wo wir arbeiten wollen. Aber bitte immer auch mit einem großen Anteil Face-to-Face!

Prof. Baumgarth ist Professor für Markenführung an der HWR Berlin (www.cbaumgarth.net) und seit der Pandemie auch Betreiber des Instagram-Wissenschaftskanals „Brückenbau Marke – Wissenschaft trifft Praxis“ (https://www.instagram.com/prof.baumgarth/).

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