Open Space: Ein Bekenntnis zur Kommunikation

Von Wojciech Czaja, 11. April 2018

Herr Wiesner, wie dürfen wir uns den Arbeitsplatz eines Büromöbelhersteller-Chefs vorstellen?  

Wiesner: Als Geschäftsführer habe ich das Privileg, in einem Einzelbüro zu sitzen. Aber ich habe keines dieser klassischen, repräsentativen Chefbüros. Stattdessen ist mein Büro in drei Bereiche gegliedert: Es gibt einen ganz normalen Arbeitsplatz, wo ich vor allem auf dem Laptop arbeite. Es gibt einen Gemeinschaftsbereich, der für kleinere Besprechungen genutzt wird. Und dann gibt es noch eine Loungesofa, auf dem ich mich manchmal für eine Viertelstunde hinlege. Das passiert aber leider nicht allzu oft.  

   

Gipskartonwand? Jalousien? Glas?  

Wiesner: Mein Büro ist genauso verglast wie das der anderen Mitarbeiter auch. Es gibt keine Hierarchie. Die Transparenz zieht sich bis in die Geschäftsführung hoch.  

   

Und Sie, Herr Kern, wie arbeiten Sie?  

Kern: Ich sitze in unmittelbarer Nähe meiner Mitarbeiter und habe ein Büro mit 14 Quadratmetern. Allerdings muss ich vorausschicken, dass ich viel unterwegs bin. 40 bis 50 Prozent meiner Arbeitszeit bin ich auf Achse. Ich nutze mein Büro vor allem für Organisatorisches, für Telefonate, für kurze Besprechungen und so weiter. Für konzentriertes Arbeiten ziehe ich mich lieber zurück. Dafür ist es in meinem Büro zu hektisch. Da klingelt ununterbrochen das Telefon.  

   

Das passiert doch auch in einem Großraumbüro!  

Kern: In einem Großraumbüro ist man definitiv weniger unter sich als in einem Einzel- oder in einem kleinen Gruppenbüro. Man ist mit einer gewissen Offenheit und Transparenz konfrontiert. Das stimmt schon. Das ist Gewohnheitssache. Doch Großraumbüros haben gegenüber dem stillen Kämmerlein, wohin ich mich zurückziehe und wo ich womöglich noch die Tür hinter mir zumache, einen entscheidenden Vorteil: Als Mitarbeiter habe ich die Chance, am Unternehmensgeschehen direkt und unmittelbar teilzunehmen. So gesehen sind Großraumbüros ein Bekenntnis zur Kommunikation und somit auch zur Modernität und Vitalität eines Unternehmens. 

 

Mittelzonen sind in einem Großraumbüro extrem wichtig – sowohl im Sinne der Strukturierung der Standard-Arbeitsplätze als auch als Beitrag zu einer gewissen Heterogenität im Büro.      

Trotzdem sind viele Mitarbeiter mit der Großraumsituation nicht besonders glücklich.  

Wiesner: Das ist nicht nur, aber auch ein Klischee. Über Großraumbüros zu schimpfen ist heute en vogue. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass es weltweit ein interessantes Phänomen gibt: In der Regel sind Mitarbeiter mit neuen Raumlösungen meist unzufrieden. Neuem steht man tendenziell kritisch gegenüber. Es braucht Zeit, bis man sich an eine neue Situation gewöhnt hat.  

   

Worauf muss man bei der Planung eines Großraumbüros besonders Acht geben?  

Wiesner: Eine 700 Quadratmeter große Halle nur mit Schreibtischen und Cubicles, wie man das teilweise aus den USA kennt, wird’s nicht sein. Man muss Strukturen schaffen. Und zwar Strukturen für unterschiedliche Raumsituationen, für unterschiedliche Charaktere sowie für unterschiedliche Stimmungen und Tagesverfassungen. Eine gewisse Privatsphäre darf dabei nicht fehlen. Und dazu braucht es optische, akustische, klimatische und atmosphärische Maßnahmen.  

   

Und wie sehen diese Maßnahmen konkret aus?  

Wiesner: De facto sind der Gestaltung keinerlei Grenzen gesetzt. Es geht um die Vielfalt. Das können Möbel, Trennwände, Pflanzen oder auch bestimmte, unbewusste Wegführungen sein.  

Kern: Eine weitere Möglichkeit ist die Gestaltung der so genannten Mittelzone.  

 

Mittelzone?  

Kern: Mittelzone ist ein Sammelbegriff. Das können Servicebereiche, Druckerinseln, Gesprächstische oder einfach nur unterschiedlich gestaltete Kommunikationszonen sein. Diese Mittelzonen sind in einem Großraumbüro extrem wichtig. Und zwar sowohl im Sinne der Strukturierung der Standard-Arbeitsplätze als auch als Beitrag zu einer gewissen Heterogenität im Büro. Je mehr unterschiedliche Zonen und Handschriften, desto besser.  

   

Gibt es eigentlich internationale Unterschiede in der Qualität der Arbeitsplatzgestaltung?  

Wiesner: Und wie! Ich war vor einiger Zeit in Asien und habe mir das Großraumbüro eines Consulting-Unternehmens angeschaut. Ich war schockiert! Das war wie in einer Legebatterie! Das war eine Aneinanderreihung von hunderten von Schreibtischen. Sonst nichts. Doch abgesehen von solch radikalen Beispielen würde ich sagen: Generell sind die Ansprüche, was die Bürogestaltung betrifft, in Mitteleuropa deutlich höher als etwa in Asien oder im angloamerikanischen Raum, also vor allem in Großbritannien und in den USA. 

 

Das typisch amerikanische Großraumbüro, wo man aufsteht und dann über 200 Plätze hinwegsieht, gibt es in Österreich nicht?  

Wiesner: Ich würde sagen, das ist eine Rarität. Das ist sicher nicht das Maß aller Dinge.  

   

Aus Ihrer Erfahrung heraus: Wie viele Quadratmeter Bürofläche muss man heute pro Mitarbeiter rechnen?  

Kern: Ich nenne ungern Zahlen, aber grob würde ich sagen: 25 bis 30 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche beziehungsweise 15 bis 20 Quadratmeter Nutzfläche pro Mitarbeiter sind schon mal ein guter Anhaltspunkt. Aber das ist wirklich nur eine grobe Zahl. Im konkreten Fall hängt die optimale Bürogröße immer von der Unternehmensstruktur und von den architektonischen Gegebenheiten ab.  

 

Der deutsche Unternehmensberater Jan Teunen spricht sich im Großraumbüro für so genannte Dekompressionsräume aus. Was halten Sie davon?  

Wiesner: Dekompression? Bei diesem Begriff beschleicht mich etwas Negatives. Das klingt so nach: So, ich schaffe Raumverhältnisse, die sind aber so schlecht, dass ich als Gegengewicht dann Räume zur Dekompression dazuplanen muss. So würde ich das kausale Verhältnis nur ungern sehen.  

   

Aber ist es nicht so, dass der Druck auf die Mitarbeiter immer mehr steigt? Mehr Leistung, mehr Qualität, dafür aber weniger Zeit, weniger Geld, weniger Personal. Das führt unweigerlich zu einem Überdruck. Insofern hat der Begriff Dekompressionsraum vielleicht durchaus seine Berechtigung.  

Wiesner: Ansichtssache. Ich bin kein Freund des großen, langweiligen Großraumbüros, in das ich dann zur Dekompression ein paar Boxen und Zellen reinstelle. Wer will sich denn da freiwillig reinsetzen? Die Gestaltungsqualität muss sich durch alle Bereiche ziehen. Daher verwende ich statt Dekompressionsraum viel lieber den Begriff Mittelzone, und da fällt zum Beispiel auch ein Besprechungszimmer darunter, das dann ausschaut wie eine schummrige, gemütliche Bibliothek mit Ohrenfauteuils. So soll Büro ausschauen. Dann entsteht dieser Überdruck, von dem Sie hier sprechen, gar nicht erst.  

   

Es geht also um Wohnlichkeit und Gemütlichkeit? Um einen gewissen Wohnzimmer-Charakter? 

Wiesner: Ja, die Tendenz geht sehr stark in Richtung Wohnzimmerbüro. Ich war letztes Jahr auf der Orgatec-Messe in Köln, und da fiel auf, dass man zwischen Wohnzimmer und Büro bisweilen gar nicht mehr unterscheiden kann.  

   

Ist das gut?  

Wiesner: Wenn es einzig und allein um den Charakter eines Ortes geht, dann kann ich die Crossover-Gestaltung von Wohnzimmer und Büro gut nachvollziehen. Diese beiden Bereiche allzu sehr miteinander zu vermischen, halte ich allerdings für gefährlich. Eine gewisse Trennung, eine gewisse Distanz muss gewahrt bleiben. Nicht umsonst gibt es den Begriff der Life-Work-Balance. Ich halte das für sehr wichtig.  

   

Abschlussfrage: Wie sieht das Büro der Zukunft aus?  

Wiesner: Das Büro muss ein Ort sein, an dem ich mich wohlfühle. Ein Ort, der mich ein bisschen ans Wohnen erinnert. Ein Ort, der Kommunikation und Kreativität in der Gruppe fördert. Vor allem aber muss das Büro aus Arbeitgebersicht ein Ort werden, den es sehr genau und detailliert zu planen gilt. Architektur und Bürogestaltung sind zwar nicht alles, aber es sind wichtige Faktoren, die die Zufriedenheit der Mitarbeiter, das Büroklima und die Identifikation mit dem Unternehmen beeinflussen und somit auch verbessern können. Nicht mehr und nicht weniger. 

 

 

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